Bruchstücke eines Buchentwurfs

Bruchstücke einer Buchidee "Der letzte Wetterpilz"

1. Der Ruf von Abenteuer und Freiheit
Der letzte Tag des Jahres 2003. Mein erster Schritt aus dem Auto findet eine freie Stelle zwischen den vereisten Pfützen auf dem Parkplatz an der Sportanlage des TUS Köln im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Merheim*. Ein Einbruch hier in eine teilweise vereiste Pfütze mit Laufschuhen ende Dezember bei Temperaturen um den Gefrierpunkt möchte ich vermeiden. Ich steige trockenen Fußes aus und sehe wie nach und nach immer mehr Sportsfreunde an diesem grauen Samstag-Vormittag auf den von Schlaglöchern übersähten Parkplatz eintreffen, um das Jahr mit der Teilnahme an einem Volkslauf abzuschließen. Mit bunten Sportschuhen, Laufhosen und Sportjacken bekleidet verlassen sie nacheinander ihre Autos um erst mal konzentriert die Lage zu sondieren. Wo geht es zur Startnummern-Ausgabe? Wieviel Zeit ist noch bis zum Start? Der Start des heutigen Silvesterlaufs -irgendwo in der Merheimer Heide- muss sich hinter dem an den Parkplatz angrenzenden kleinen Waldstück befinden. Durch die kahlen Bäume hindurch schallt den Neuankömmlingen auch schon eine undeutliche Stimme wie aus aus einem fernen Megaphon entgegen - es ist die Stimme des Rennleiters, der mit Lauf-Botschaften wie “vorne die Bleistifte, hinten die Radiergummis” Teilnehmer und Zuschauer des winterlichen Volkslaufs bei Laune halten möchte.

Auch ich folge diesem Ruf nach Abenteuer und Freiheit. Eine Weile hatte ich Anfang des 21. Jhdts. fast jedes Wochenende an einem Volkslauf teilgenommen. Und das schlechte Gewissen, meine Freizeit mit sporticher Ertüchtigung zu verbringen lief immer mit. Vorherigen Generationen standen diese Freiheiten kaum zur Verfügung. “Wir sind Sonntags in die Kirche gegangen und haben uns dann um die Kinder und Eltern gekümmert!” Und es mag sein, dass die Qualen eines Volkslaufs für mich auch als eine Art Vergebung der Sünden galt. In einigen Jahren waren es an die dreißig Läufe an den ich teilgenommen hatte; alle ordentlich in einer Datenbank erfasst. Von der “Durchschnittsgeschwindigkeit” bis zum “Frauenanteil” wurde alles ausgewertet. Neben dem Laufsport an sich war das Sammeln dieser Volksläufe mittlerweile auch zu einer Art Sport geworden.

Aus dem Waldweg kommen mir mit Briefumschlägen bewaffnete Läufer entgegen. Ein typisches Bild bei Volksläufen. Darin befindet sich ein Blatt mit einer aufgedruckten Zahl und 4 Sicherheitsnadeln - der sog. Startnummer, die man gut sichtbar auf der Brust befestigen muss um an dieser Zeremonie teilnehmen zu können. Ich frage den erstbesten wo sich die Startnummernausgabe befindet, er sagt “da hinten”. “Da hinten” ist bei diesem Volkslauf das Vereinsheim der TUS Köln, eine Baracke aus den 60er Jahren, gelegen an einem winterfest gemachten Ascheplatz, nur wenige hundert Meter den Wald hinein. Alle drängeln sich in dieses Kabuff rein. Es ist muckelig warm. Bald wird es immer enger. Doch der Einsatz von hiesiger Karnevalsmusik hilft, der allgemeinen Anspannung mit bewährten musikalischen Mittel entgegen zu wirken. Ich schlage mich durch zur Tafel mit den Teilnehmerlisten und finde dort meinen Namen und die mir persönlich zugewiesene Startnummer. Mit dieser Zahl im Kopf geht es nun an das Ende der Warte-Schlange, die sich vorne an der umgerüsteten Theke des Vereinsheims auflöst. Dort angekommen teilt jeder Läufer den Helfern des TUS Köln seine Startnummer in Form von Sätzen wie “ich bin die 575” mit - vorausgesetzt man hat sie nicht zwischendurch wieder vergessen. Endlich halte auch ich mein persönliches Kuvert mit dem begehrten Blatt und den Sicherheitsnadeln in den Händen.

Aus dem überfüllten Raum wieder draußen in der frischen Luft angekommen, geht es nun erst mal zum Startbereich. Ich folge dazu wieder der nun immer deutlicher vernehmbaren Stimme des Rennleiters an den im Wald befindlichen Sportanlagen des Vereins entlang. Und ohne dass es mir bewusst ist, nähere ich mich damit hier und heute auch gleichzeitig dem Schauplatz meiner ersten persönlichen Wetterpilz-Begegnung. Die Kulisse für diese Begegnung liefert die Mehrheimer Heide. Sie hat nichts mit Heiden wie der Lüneburger Heide zu tun. Sie ist mehr eine Wiese direkt an der Trasse des östlichen Kölner Autobahnrings, der hier mit Flüsterasphalt gedeckt ist, und umkreist wird von einem gut 2,5 km langen Rundweg und durchkreuzt wird von zwei Diagonalen, die sich an einem mystischen Punkt treffen.

Ein Biertisch, ein kleines Zelt und -tatsächlich- ein Mann mit Megaphon und Klemmbrett. Das muss der Startbereich des Silvesterlaufs sein. Einige Läufer traben hier bereits auf und ab. Daneben schaue ich mir einige Meter des Rundwegs an, der insg. 3 mal durchlaufen werden soll und erkenne die Herausforderung der Strecke: tiefe, breite Pfützen, Schnee, Eis und Matsch versprechen Abwechslung und Vielfalt auf den kommenden 10 Kilometern.

Es ist noch genug Zeit bis zum Start. Ausreichend um mich noch ein bisschen im Auto an zu wärmen. Mit meinem Umschlag bewaffnet gehe ich zurück zum Parkplatz. Auch ich werde nach der Startnummernausgabe gefragt und sage “da hinten”.

In einem Auto auf dem Fahrersitz sitzend sich um zu ziehen und die Startnummer zu befestigen dauert eine Weile. Doch nach und nach öffnet sich ein von innen beschlagenes Auto nach dem anderen und heraus kommen aufgewärmte und hochmotivierte Volkslauf-Teilnehmer - entschlossen, fit das Jahr 2013 abzuschließen.

Allgemeines Hüpfen, Strecken und Beugen beherrschen nun die Szene. Die Schlange vor den spärlich vorhandenen mobilen Toiletten ist lange und so suchen viele Herren ihr Glück im Dickicht der Bäume, die aber im Winter auch nicht mehr ganz so dicht sind. Schnell füllt sich der Startbereich, man trifft Bekannte, erklärt, dass man nicht gut in Form ist und nur mal gucken möchte ob man überhaupt durchkommt und läßt seine GPS-empfangenen Pulsuhren schon mal nach den geeigneten Satelliten suchen. Zwei stark untersetzte Damen haben den Hinweis mit den Bleistften und den Radiergummies nicht mitbekommen und ordnen sich gleich vorne ein.

Allgemeines Abklatschen, der Countdown und mit dem Schuss aus der Startpistole -erfolgt durch den Hautsponsor des Laufs und vereinsnahen Bäcker- und dann geht es los auf die 10 km lange Strecke indiesem rechtsrheinischen Kölner Randgebiet. Nach wenigen Metern hat das gesamte Feld die untersetzten Damen aus der ersten Reihe überlaufen und mit den Pfützen Kontak aufgenommen. Bald spürt man, wie wasserdurchlässig luftdurchlässige Laufschuhe sind. Und auch die buntesten Modelle gleichen sich schnell der Farbe des Drecks an. Mein Puls hat nach der ersten Kurve sein Maximum erreicht. Zuschauer sind rar. Nur eine kleine Gruppe steht an der Wegekreuzung unter einem merkwürdigen Unterstand aus Beton in Pilzform an einer Wegekreuzung- ich lächle und winke freundlich.

Das erste mal am Start/Zielbereich. Ich trinke aus einem mir gereichten Becher Wasser und versuche jetzt, an nichts zu denken außer der Bewegung. Dazu muss ich aber erst einmal vergessen, daran zu denken nur an die Bewegung zu denken. Dabei ist Laufen sehr hilfreich. Zwangsläufig läuft irgendwann das “Blut aus dem Kopf” dahin wo es gebraucht wird - in die Beine. Doch scheinen diese auf der zweiten Runde entsprechend schwerer zu werden. Ich verlasse die Maximalgeschwindigkeit und quäle mich ein zweites mal an dem mir immer obskurer vorkommenden Unterstand vorbei - mit entgleiteten Gesichtszügen und schwachem Gruß an die dort vereinte Zuschauergruppe.

Das Ende ist nahe - so motiviere ich mich als das mittlerweile recht auseinander gerissene Feld in die letzten Runde einbiegt. Ich versuche nicht mehr, den Pfützen auszuweichen. Es ist nass und matschig, aber es macht auch irgendwie Spaß.. Ich recke die Faust zu der Gruppe am Pilz und biege in die Zielgerade ein. Ich werde noch von einigen überholt, die am Start von ihrer schlechten Form sprachen und freue mich, hinter dem Ziel tatsächlich den angekündigten Weckmann in Empfang nehmen zu können. Ich fühle mich sehr gut und blicke abschließend noch mal über die Heide und denke, als mein Blick auf den Betonpilz fällt, welch eigenartiges Konstrukt das doch ist und vergesse meinen ersten Wetterpilz wieder. Oder doch nicht?

*Der rechtsrheinische Stadtteil Merheim grenzt im Nordosten an Dellbrück, im Osten an Brück, im Süden an Neubrück, im Südwesten an Ostheim, im Westen an Höhenberg und im Norden an Holweide. Ich war vorher noch nie dort gewesen. Menschen aus dem linksrheinischen Köln meiden diese östlichen Stadteile im allgemeinen. Doch Bekannte empfahlen den Silvesterlauf in der Mehrheimer Heide: “Eine schöne flache Strecke und im Anschluss an die 10 km gäbe es sogar für jeden Teilnehmer dieses Volkslaufs einen Weckmann umsonst.“ Das Otahitische Schirmdach München 1795 im Sommer. Eine Kutsche reitet durch den neu errichteten Englischen Garten in München, der Hauptstadt Bayerns. Einer der ersten Landschaftsgärten im Englischen Stil. In ihr befindet sich der XXX und yyy. Nach xxx Jahren des Baus wird Heute die Anlage, ursprgl. “xxx” genannt, eröffnet. blablabla. Das 18. Jhdt. ist eine Epoche der Aufklärung, neuer Freiheiten und eine allgemeine Neugier auf fremde Länder, Menschen und Kulturen. Sichtbar wird dieser Umschwung zuerst in der Kunst und der Architektur. Und dort spielt die Gartenkunst eine herausragende Rolle. Die Gartenarchitekten entwerfen Anlagen, die ganz im Kontrast zu den strengen Formen ehemaliger Schloßparks gestaltet sind . Nach wie vor ist es noch der Adel, der den Bau dieser neumodernen Parkanlagen in Auftrag gibt. Der xxx inspiziert auf der Rundfahrt xxx und xxx. In den zu Beginn noch wolkenlosen Himmel ziehen an diesem Sommertag vor 200 Jahren mehr und mehr Wolken aus den Alpen am Himmel auf. Die xxxx steigen am nächsten Besichtigungspunkt, dem XXX-Denkmal aus. Der Wind frischt auf. YYY erklärt dem xxx die Bedeutung des Denkmals, als die ersten schweren Regentropfen beginnen, vom am bayerischen Himmel hinab zu fallen. Die Pferde werden nervös und treten aus, als sie in der Ferne ein erstes Gewitter-Grollen spüren. Der Kutscher schafft es nun nicht mehr, die Gäule zu beruhigen und so gehen sie mit der Kutsche aber ohne deren fürstliche Gäste durch.

Dem erlauchten Mähne droht nun der Ruin. Wo in diesem weiten Park Schutz suchen? Der yyy weiss Rat, schließlich hat er die Gartenanlage an der Isar selber geplant und den Bau über Jahre begleitet. Er erinnert sich an eines der stilistisches Mitbringsel aus den Entdeckerreisen James Cooks und Georg Forster, die heute gern als Zeichen von Weltoffenheit und Bildung in die Gestaltung von Parkanlagen Einzug halten. Er führt den xxx zu einem nur wenige Meter entfernten “otahitischen Schrimdach”. War das nun der erste Wetterpilz?

2. Mit der ZEIT in München
München, Sommer 2012. Der gleiche Ort nur gut 200 Jahre später. Auch heute ist ein historischer Tag. Aus Köln sind anwesend: Christina Rietz, Autorin der ZEIT, XXX, und ich. Aus München ist der Profifotograf xxx dabei. Es geht um einen Artikel zu der mitlerweile einige Hundert Exemplare fassende und internation gewordenen Wetterpilz-Sammlung in der Wochenzeitung Die ZEIT. Den Leserm sollen diese großartigen Kleinkunstwerke und deren Renaissance vorgestellt werden. Und auch an diesem Sommertag ist der Himmel sonnenklar. Treffpunkt morgens um 10:15 Uhr ist der am S-Bahnhof “Studentenstadt” in Münchener Stadtteil Schwabing. Die Autorin nimmt heute teil an einer authentischen und professionell geführte Wetterpilz-Expedition.

*Zwischenspiel “OpenStreetMap””: Bereits am Tag zuvor traf ich mich mit der Autorin und der Münchener *Ortstgruppe der OpenStreetMap. Ich wollte nicht als Einzelkämpfer dastehen und begann bereits Wochen vor dem geplanten Interview damit, Kontakte zu den hiesigen OpenStreetMappern aufzunehmen. Meine Absicht war damals, der Dame das Projekt als etwas Großes vorzustellen, an dem sich hunderte weiterer Sammler beteiligen; nicht zuletzt auch, da ich gefragt wurde, ob es “noch weitere Wetterpilz-Fanclubs” gäbe. Die gab es natürlich nicht, Um dann aber nicht ganz so dumm da zu stehen kam mir die Idee mit der OpenStreetMap. Die kartieren ja schliesslich auch alles mögliche, sind etwas “nerdig” und halt eine große “Community”. Deren Aura sollte hinab auf das Wetterpilz-Projekt strahlen. Daher das fingierte Treffen am Vorabend.

Die Expedition durch den Englischen Garten beginnt mit einem professionelles shake-hand am Bahngleis 1, smalltalk, kleine Scherze, doch dann gehe ich schnell zur Vorstellung des Schlachtplans über. In einer Pause zwischen zwei S-Bahnen erkläre ich das Vorgehen: “Der Angriff auf die Wetterpilz-Kulturen im nördl. Englischen Garten soll über die xxx Strasse erfolgen. Recht bald wird man auf den ersten Pilz stoßen.” Den hatte ich schon auf Satellitenbildern ausgemacht. Es ist nicht mit Gegenweh zu rechnen. Im Internet waren ebenso einige weitere Kandidaten zu erahnen,, die ich an verstreuten Stellen hier auf dem weitläufigen Areal vermute. “Einige Standorte sollen bei dieser Expedition in Augenschein genommen werden. Ich hoffe, wir entdecken dabei wenigsten noch einen weiteren echten Pilz”. Gar nichts zu finden wär peinlich bei einer Expedition, die auch fotografisch dokumentiert wird, auch wenn ich immer wieder betone wie “unwahrscheinlich es sei, überhaupt gezielt einen Wetterpilz zu finden und die meisten Expeditionen ergebnislos verlaufen”. Das Zeitfenster halten wir uns offen, nur bei Einbruch der Dunkelheit oder Eintretendem Hunger wird vorher abgebrochen - halt eine professionelle Expedition. Gut, dass der Fotograf heute auch nichts mehr vor hat. Noch schnell ein Bis ins Brot (“Semmel”) und ein Schluck aus der Feldflasche. Insgeheim hoffe ich auf die Ortskenntnisse des Fotografen, immerhin beruhigte er die Expeditions-Teilnehmer mit seiner Aussage, dass er wisse, wo sich hier ein Biergarten befände, zücke aber dennoch geübt die Landkarte und sage überzeugend lässig: “soo, ich glaube es müsste dahinten irgendwo entlang gehen”. Und nach wenigen Schritten betritt das Team den historischen Boden, auf dem vor 200 Jahren ein Wetterpilz die Frisur des XXX vor dem Ruin bewahrt hatte - wenigstens in meiner Fantasie. Jetzt merke ich erst, dass Frau Rietz mit Sandalen unterwegs ist. Aber sie ist ja alt genug. Zum Glück ist die Beschaffenheit der Wege sehr gut. Im Englischen Garten zu München ist alles sauber, keine Penner, keine verlassenen Feuerstellen, noch nicht mal von Leergut überquellende Mülleimer. Wir sind hier in Bayern und nicht in Köln. Andächtig wandeln wir den Weg entlang - unterbrochen von allgemeinen touristischen Hinweisen des Fotografen. Langsam werden wir vertraut mir der Umgebung. Ich entfalte gelegentlich die Karte. Hinter jeder Kurve werden die Hälse ein Stück länger. Es knistert. Der Fotograf ist sich jetzt auch nicht mehr 100% sicher wo wir uns befinden. Auch kann er sich nicht recht an einen Wetterpilz erinnern. Ich bin mir “halbwegs sicher, dass wir hier richtig sein müssten”. Und so geht es weiter. Trotz der sommerlichen Wärme breitet sich unwillkürlich ein Gänsehaut aus. Wie lange sind wir schon unterwegs? Tage, Stunden oder doch nur Minuten? Die Expeditionsteilnehmer haben in der Anspannung jegliches Zeitgefühl verloren. Meine Begleiter spüren den Zauber. Für sie ist es wie eine Schatzsuche. Wie eine Raumschiff-Enterprise Mission auf einem unbekannten Planeten - irgendwie schwerelos bewegen wir uns durchs Grün. Die Gespräche drehen sich nun nur noch um ein Thema. Dem großen Thema. Der Renaissance eines der wundervollsten architektonischen Kleinode der Geschichte, eines lebenden Fossils, unter dem sich schon vor Jahrhunderten Menschen trafen, dem einzigen Gebäude ohne Türen und Mauern, der Königin der Gartenkunst, einem Fabelbau, der seine Besucher glauben lässt sie seien Teil eines Märchens. Werden wir ihn finden? Wie wird es sein, wenn er plötzlich dasteht? Wird alles anders nach der Begegnung? Werden wir Heilung oder Fluch erfahren? Verzaubert oder verwunschen? Der Sommerwind, der uns bis hierhin begleitete, lässt immer mehr nach nach, und der Vogelgesang ist kaum noch zu vernehmen. Auch die Sonne wirft keine Schatten mehr. Schließlich rennen auch die Eichhörnchen panisch weg. Was ist passiert - sind wir am Ziel, am Ort unseres Begehrens? Nein, es ist nichts dergleichen passiert - wir sind nur in den Wald abgebogen, der Fotograf war kurz austreten - vielleicht zu nervös. Erlöst vom Druck des inneren Wassers geht es weiter entlang eines kleinen Bachs, dann an einem Weiser nach links, wo uns eine Frau mit Kinderwagen entgegen kommt und uns nicht grüßt. Am Ende erkennen wir eine Lichtung und hören galoppierende Pferde, der Pfad wird nun wieder breiter und biegt leicht nach rechts. Und es ist genau die Richtung, in die die Autorin auch gerade ihren Kopf, der von einem Ponny bedeckt wird, wendet. Sie schreit: “aaah”, der Fotograf schließt sich an: “aaah” und auch aus mir schallt es laut: “aaah” noch ohne erkennen zu können was es war, dass Frau Rietz und den Fotografen hatte “aaah” in die Weite des Englischen Gartens ausrufen lassen. Und tatsächlich, es ist passiert. Wir stehen -ohne es bemerkt zu haben- unmittelbar neben einem Wetterpilz. Und was für einer. Wir klatschen ab und 3 verzückte Augenpaare starren gebannt auf diesen feierlichen Wetterpilz, der die Expeditionsteilnehmer so überascht hat. Wer ist er und was tut er hier? Er ist braun, 3,5 M hoch, mindesten 3 m im Durchmesser, er besteht aus Holz, feine Schreinereien verzieren sein Dach - bzw. seinen Hut. Sein Stamm ist kaum zu umklammern. Auf ihn eingeritzte Liebesschwüre längst vergangener Jahrzehnte. Stand er schon hier als Elvis Pressley in xxx stationiert war und “Muss i denn zum Städterle hinaus” sang? War er stiller Zeuge der ersten Mondlandung? Warum baut man hier und heute so etwas Schönes. Ungefähr an der Stelle, wo Ende des 18. Jahrhuinderts vielleicht der erste Wetterpilz gestanden hat?

Wir teilen uns spontan auf - die Autorin sitzt und schreibt. Der Fotograf läuft umher und fotografiert aus der Distanz, sucht die perfekte Perspektive, ich fotografiere aus der Nähe und bestimme Längen und Breitengrad. Eine Frau mit Kind platzt herein und setzt sich einfach unter den Wetterpilz. Dieses Störung unserer Arbeit nehme ich zum Anlass, die Expeditionsteilnehmer darauf hinzuweisen, dass es ja nicht nur schwierig ist, einen Wetterpilz zu finden, sondern dass oft auch Passanten ihn besuchen, was eine ungestörte Untersuchung behindert. Solche Zwischenfälle bieten jedoch auch die Chance eines Gesprächs mit den Passanten in der Hoffnung, Hinweise zur Geschichte des Wetterpilzes zu erfahren, was hier jedoch nicht der Fall ist. Ausser einem “na, des wois i ned” war nichts zu erfahren. Dennoch können wir uns kaum von ihm trennen. Und nachdem der Besuch wieder das Weite gesucht hat, schliessen wir unsere Recherchen hier ab und sind uns darin einig, dass es ein Meisterwerk ist, das eine verzaubernde Wirkung besitzt.. Und schon sind meine Begleiter nicht mehr zu bremsen und wollen so schnell wie möglich das nächste Erfolgserlebnis. Sie sind gepackt, es ist wie eine Droge. Und der nächste Fund läßt nicht all zu lange auf sich warten. Der nächste Kandidat stellt sich ebenfalls als Treffer heraus und wird wieder emsig begutachtet. Plötzlich betritt ein ein Mann auf einem Damenrad mit Filzhut die Szenerie. Er weckt gleich journalistische Begehrlichkeiten und so quetscht ihn die Autorin gleich aus. Seine Sätze “a geh, des Schwammerl gebts a scho long, gä? Da hob i oh als Kind gspuilt” werden gleich im Team, besprochen. Wir halten fest: 1. man nennt Wetterpilze hier “Schwammerl” und 2. sie sind schon sehr alt. Wir wollen den Passanten nicht gleich nach seinem Alter fragen, vermutlich ist der freundliche Urbayer aber so um die 70. Ob es hier noch weitere Schwammerl gäbe verneint er (in seiner Sprache). Da nun die erste Sucht befriedigt ist und sich der Hunger einschleicht beschließen wir als, hier nicht mehr weiter zu suchen und folgen dem Ortskundigen zum nächsten Biergarten. Erst viel später werde ich herausfinden, dass es gleich um die Ecke doch noch ein Schwammerl gibt. Auf dem Weg zum Biergarten begegnet uns noch ein anderes Gebäude, dass auf Sattelitenaufnahmen wie ein Pilz aussieht, doch es ist nur ein Unterstand mit aussen tragenden Wänden und ich nutze die Gelegenheit, auf die ästhetischen Unterschiede zwischen einem gemeinen Unterstand und einem echten Wetterpilz hinzuweisen. Fast empört, dass man sowas überhaupt hier baut, geht es zum Biergarten.

Sebastian Schuchs Einwurf:
Als ich mich aufmachte Wetterpilze zu finden, konnte ich nicht ahnen, dass ich bereits in gewohnter Umgebung zur Ruhe kommen würde. Nicht in den Tiefen des Waldes oder hügeligen Weiten der Feldfluren stand er plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor mir. Nein! Ein kurzer Gang in die Stadt war alles, was mir helfen sollte meinen Entdeckertrieb zu kühlen. Dort nämlich ist ein besonders unauffälliger Gesell, fest verwurzelt in unserer rastlosen Zeit, an Orten der dauernden Durchreise anzutreffen. Von unlustgeplagten Wartenden unbeachtet spross in den letzten Jahrzehnten an manch einem Verkehrsknotenpunkt Deutschlands die filigrane Gestalt eines Haltestellenwetterpilzes (kurz: Wartepilz). Diese spezielle Bauform – man möchte fast sagen Unterart – des landläufigen Wald- und Wiesenwetterpilzes ist häufig in Stahl gefasst und des Öfteren mit Glasdach bewährt. Im Grundriss hält sich der Wartepilz nicht an die bevorzugt runde Form seines hölzernen Vetters, nein, er ist ganz kastenartige Stadt und darum oft als Vieleck auf schmalem Pfahl konstruiert. Einzig im beschaulichen Würzburg ist mitten auf dem zentralen Barbarossaplatz ein prächtiger Wartepilz in Rundbauweise gediehen, der auch wesentlich imposanter als seine nördlichen und durchaus zierlicheren Artgenossen daherkommt. Mit seinem knapp sechzehn Meter durchmessenden Glashut macht ihm lediglich der asymmetrisch-viereckige Riese aus Winterthur Konkurrenz. Dieser wurde erst im Jahr 2013 fertig gestellt und ist der mir bisher einzig bekannte, der nicht auf deutschem Staatsgebiet vorkommt (abgesehen von seinem betongegossenen Verwandten am Stockholmer Stureplan). Außerhalb von Würzburg wächst der Wartepilz, wie bereits erwähnt, zwar nicht so in die Höhe und Breite, doch dafür gibt er sich geselliger. Ob die locker zusammengestellte Gruppe achteckig-platt Behuteter am Heidelberger Bismarckplatz. Die vier zarten, unscheinbaren Flachhüte mit zwölfeckigem Grundriss am Göttinger Zentralen Omnibusbahnhof. Die Gruppe von sage und schreibe über 20 pyramidal-gläsernen Spitzhüten am Marienplatz in Mönchengladbach. Oder die invers-vierkantige ‚Stadtmöblierung’ aus den 1970ern in Siegen-Weidenau. Sie alle eint, dass sie gehäuft gedeihen. Zudem wurden die meisten von ihnen erst frühestens Ende des letzten Jahrhunderts errichtet. Warum aber hat man in all diesen Fällen die Pilzform gewählt wo sie doch an vielen anderen größeren Plätzen vergeblich zu suchen ist? Nun, einen Vorteil hat der Pilz gegenüber dem Wartehäuschen. Durch seine luftige Bauweise begünstigt er den ungehinderten Personenfluss. Ein Häuschen oder Pavillon bietet zwar mehr Schutz, vor allem bei böigem Wetter, doch ein schnelles Durcheilen des Unterstandes ist ohne Weiteres nicht möglich. Insofern ist es der Weitsicht und der Kühnheit des jeweiligen Architekten geschuldet, der sich ein Herz fasste und die Form des Pilzes wählte. Denn eines steht fest: In der Konstruktion stellt der Pilz eine größere Herausforderung dar, als das profane Haltestellenhäuschen. Das Ergebnis ist darum umso bemerkenswerter. Dass sich diese Bauwunder der Aufmerksamkeit der meisten Menschen dennoch entziehen, spricht für den Pilz. Aus eigener Anschauung weiß ich wie gut es der Wartepilz versteht sich in seine Umgebung einzuschmiegen. Denn auch ich habe diese städtischen Kleinode jahrelang mit trübem Blick ignoriert. Erst durch erhöhte Wachsamkeit und gesteigertes Fomenbewusstsein lernte ich es meinen Geist gezielt auf diese Form zu lenken. Sicherlich gibt es noch einige unerkannte heimliche Hüter da draußen oder es werden in den nächsten Jahren in aller Stille weitere auf unseren Plätzen erstehen. Wenn wir aber dann fluchend und schimpfend vor der ungemütlichen Witterung vollkommen reibungsfrei Schutz finden, werden wir in einem wachen Augenblick den Kopf heben und anerkennend murmeln können: „Sieh an! Hat es etwa wieder einer gewagt? Ja, er hat. Und es ist gut so!“
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