Von Station zu Station (Berlin 2020)
Klaus Herda, 28.07.2020
Von Station zu Station (Berlin 2020)

Mit jedem Meter nach dem Start löst sich die Zeit weiter auf bis sie sich endgültig befreit hat. Züge werden vereint und streben ihrem Ziel zu. Dort ausgeworfen riecht ein ungewohnter Geruch, spricht ein fremder Dialekt zu uns. Das Herz der geheimnisvollen Stadt schlägt im Rhythmus eines Orchesters ohne Noten aber mit einem strengen Dirigenten. Gebändigt wie ein Kanal fließt auch der Fluss durch die ungebändigte Stadt, dessen unzählige Brücken die Menschen beider Seiten wie durch ein unsichtbares Band vereinen. Die Blicke gehen empor zu riesigen Prachtbauten, zu dessen Füßen wir wie Ameisen wirken, die Namen haben wie Ralf, Adelheid, Rosie, Steffi, Klaus, Berit oder Franziska. Andere sind unbekannt, verwurzelt, gestrauchelt, suchend oder findend. Wie die Worte eines Gedichts begegnen uns Bahnhöfe wie Kathedralen, verrückte Geocacher im Ruhestand, schnaubende Schaffner und strenge Ordnungshüter. In einem schrecklich schönen Hof ein Hund, ein ferner Schreck am Telefon und eine Bahnfahrt durch einen Märchenwald. Der Abend voller Gitarren und Leichtigkeiten am Fluss, eingehüllt vom Geschrei quietschender Bahngleise. Spatzen im Meer aus Sand, Schildkröten am Teich und seltsame Glaswürfel tanzen nachts im Traum um die Wette mit Journalisten, Kameras, Fernsehtürmen und Säulen im Takt der Sirenen eines Alarms, der keiner ist. Augen und Ohren ersetzen wieder Linsen und Mikrophone. Hier ist die Kunst echt und unmittelbar an den Wänden der Stadt angebracht, die eine große Leinwand oder Bühne eines absurden Theaters ist, das einem Maskenball gleich ziellos durch die Zeit zu reisen scheint wie unendlich sich wieder spiegelnde Flure in einem Hotel, in dessen Zimmern das bunte Leben tobt auf dem Weg von Station zu Station.
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Auf diesen Seiten sind alle Gedichte und andere Lyrik aufgeführt, die während der Suche nach Wetterpilzen entstanden oder gefunden worden sind.

Sind diese Pilzbauten ja schon an sich Kunst, so inspirieren sie darüber hinaus auch immer wieder den Betrachter, sie aus ihrer realen Welt in eine andere, eine poetische Welt zu überführen.

Der Text "Von Station zu Station" ist von Klaus Herda während einer Wetterpilz-Expedition nach Berlin im Juli 2020 geschrieben worden. Das Bahn-Motiv ist von der intensiven Begegnung mit diesem Verkehrsmittel inspiriert worden.